Hoch hinaus

Nicht-Feuerwehrleute verbinden mit Namen „Magirus“ meist nur die LKW-marke. 

Dabei war der Gründer des Unternehmens ein Pionier, der sich nicht mit der aufkommenden Motorisierung, sondern mit dem Feuerlöschwesen beschäftigte. Das wurde durch seine Ideen und Erfindungen nicht nur in Deutschland grundlegend modernisiert. Die Magirus GmbH führt als Marke von CNH Industrial diese Tradition fort und fertigt in Ulm modernste Systeme für Brandbekämpfung und Katastrophenschutz.

Der geniale Erfinder Conrad Dietrich Magirus, geboren 1824, war für seine Zeit sicherlich ein ungewöhnlicher Mensch. So erweiterte er schon früh seinen Horizont durch einen mehrjährigen Ausbildungsaufenthalt in Neapel. Darüber hinaus begnügte sich der Kaufmann später nicht mit der Übernahme des elterlichen Kolonialwarengeschäfts in Ulm, sondern schrieb nebenher ein Kompendium, in dem er sich mit dem Feuerlöschwesen auseinandersetzte. Professioneller Brandschutz war damals unbekannt. Wer schon einmal eine Feuerwehrstation in einem unterentwickelten Land gesehen hat, bekommt eine Ahnung davon, wie es zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Magirus‘ Heimatstadt Ulm ausgesehen haben dürfte: Das wichtigste Mittel bei der Brandbekämpfung waren – abgesehen von der „Manpower“ – Eimer. Mit denen kippte man, sofern vorhanden, Wasser oder Sand auf das Feuer, sehr oft mit begrenztem Erfolg. In größeren Städten gab es zumindest Pumpen, die aber im vorindustriellen Zeitalter nur manuell betrieben werden konnten. Eine „Feuerwehr“ mit entsprechend ausgebildeten Männern gab es damals auch nicht – erst mit der populären Turnbewegung entstanden die ersten Löschzüge. Die Turner begriffen sich in gewisser Weise als Elite, viele (freiwillige) Feuerwehren entstanden damals aus den Turnvereinen heraus. 

Auch Magirus formte aus dem Kreis der Ulmer Turnerschaft den ersten Feuerspritzenzug der Stadt und wurde wenig später Kommandant der Feuerwehr Ulm. Aufgrund seiner Erfahrungen begann der Pionier, sich mit der technischen Optimierung der Feuerlöschgeräte zu beschäftigen und entwarf zunächst mehrere ausziehbare Leitern, was schließlich zum Bau einer fahrbaren – damals natürlich von Pferden gezogenen – Feuerwehrleiter führte.

Revolutionäre Erfindung
Mit diesen aus heutiger Sicht simplen, aber für die damalige Zeit revolutionären Konstruktionen hat die jüngste Generation von Magirus-Drehleitern nur mehr die Funktion gemein. Kürzlich stellte die Magirus GmbH die neue Generation der High-Tech-Leiter vor, die mit geballter Elektronik den Einsatz der Feuerwehren bei Rettungseinsätzen oder Brandbekämpfung noch sicherer und effektiver macht. Das ausgeklügelte Steuerungssystem „SmartControl“ fügt sich ein in eine Vielzahl von Innovationen, die die Magirus GmbH in den letzten Jahren vorgestellt hat. Die digitale Revolution hat auch das „Innenleben“ moderner Brandschutztechnik erfasst – rechnergesteuerte Einsätze, Robotertechnik, Drohnen als Informationsquelle oder branchenübergreifende Kooperationen mit Unternehmen, die auf künstliche Intelligenz spezialisiert sind, heben die Entwicklungen auf eine neue Ebene.

Zwei weitere Neuheiten von Magirus sind reine Softwarelösungen. Hier schließt sich der Kreis: Der Firmengründer Conrad Dietrich Magirus hatte ja ebenfalls nicht nur die Hardware im Kopf, sein Buch „Alle Theile des Feuer-Lösch-Wesens“ war, wenn man so will, ebenfalls „Software“. Das WLAN-basierte Tool TacticNet
soll Einsatzleitern helfen, sich mit Hilfe von Visualisierung, Datenübermittlung und Kommunikation in Echtzeit möglichst schnell einen kompletten Überblick über eine Einsatzsituation zu verschaffen. Magirus FleetConnect wiederum setzt bereits im Vorfeld an und erfasst den Zustand von Fahrzeugen und Ausrüstung. Bei einem Einsatz können diese Daten in das TacticNet eingespeist werden, womit ein Einsatzleiter beispielsweise den Pumpendruck in Echtzeit sieht. Parallel dazu ist FleetConnect ein Hilfsmittel, um Verantwortliche für Geräte und Fuhrpark mit Informationen über fällige Reparaturen, Wartungsarbeiten oder auch nur die aktuell vorhandene Treibstoffreserven im Tank der Einsatzfahrzeuge zu versorgen.

Zurück zu den Wurzeln
Conrad Dietrich Magirus, der Gründer des Unternehmens, entwickelte Brandschutzgeräte mit einem Kompagnon und ab 1866 mit einer eigenen Firma. Bis nach dem Beginn des 1. Weltkriegs entwickelte und fertigte die C.D. Magirus AG ausschließlich Feuerwehrausrüstung. In den Kriegsjahren begann man mit dem Bau von leichten Lastkraftwagen, später auch Kommunalfahrzeuge und Omnibusse. Die berühmte Lastwagenfabrik Magirus-Deutz entstand 1936 durch Fusion der beiden Unternehmen, sie ging später in der IVECO Magirus AG auf. Die Brandschutzsparte wurde 2013 in Magirus GmbH umbenannt und wird auch nach der Neustrukturierung der Konzernaktivitäten gemeinsam mit dem Lkw-Hersteller IVECO Magirus AG in der On-Highway-Unit bleiben. Momentan arbeiten bei Magirus in Ulm 976 Beschäftigte. Die Gesamtzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Magirus GmbH beläuft sich an den vier Standorten (Ulm, Graz, Brescia und Chambery) auf 1331.

Klimawandel, E-Fahrzeuge und Brandschutz
Auf der anderen Seite muss Brandbekämpfung oder Katastrophenschutz auch auf (gesellschaftliche) Entwicklungen reagieren, die modifizierte oder neu entwickelte Einsatzszenarien erforderlich machen. Zwei Beispiele hierfür: Der Brand eines Fahrzeugs mit batterieelektrischem Antrieb erfordert eine völlig andere Reaktion wie der eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Und der Klimawandel führt letztlich dazu, dass auch in Mitteleuropa große Wald- und Steppenbrände zu einem Problem werden, mit dem sich Feuerwehren auseinandersetzen müssen. Beides Themen, mit denen sich die Entwickler bei Magirus intensiv beschäftigt und Lösungen erarbeitet haben. Einmal mit ferngesteuerter Robotertechnik, die in der Lage ist, ein brennendes Elektrofahrzeug auch ohne Gefährdung der Einsatzkräfte zum Beispiel aus einer Tiefgarage zu holen. Für die Waldbrandbekämpfung hat Magirus einen Pistenbully mit Hightech-Feuerwehrausrüstung bestückt. Das mit seinem Raupenfahrwerk hochgeländegängige Spezialfahrzeug verfügt über einen großen Tank und verteilt das Löschwasser mit einer Aircore genannten Spezialdüse, in der das Wasser zu feinsten Tröpfchen vernebelt wird, was die Effizienz deutlich steigert. Magirus fertigt nach wie vor herstellerneutral klassische Feuerwehr-Aufbauten für Einsatzfahrzeuge, auch geländegängige Varianten für Forstbehörden, in deren Bereich es häufig zu Waldbränden kommt. 

Der Klimawandel hat ja viele Facetten, die zu Katastrophen für die Menschen werden können. Meist weit weg, doch in den letzten Monaten und Jahren auch in Mitteleuropa spürbar. Ein Beispiel dafür sind die verheerenden Verwüstungen, die nach dem Starkregen im Sommer dieses Jahres in verschiedenen Teilen Deutschlands zu beklagen waren. Auch bei derartigen Ereignissen könnten die modernen digitalen Tools die Einsatzkräfte bei ihrem Bemühen, möglichst schnell und effizient zu helfen, unterstützen.

Und dann gibt es natürlich noch den Wasser speienden Drachen – das vielleicht auffälligste und spektakulärste Produkt von Magirus. Das bullige Löschfahrzeug ist eine Spezialentwicklung für Flughafenfeuerwehren. Als Dragon in den Achskonfigurationen 4x4 oder 6x6; als 8x8 mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 52 Tonnen wird der Truck zum Superdragon. Mit zwei IVECO Motoren an Bord erreicht das Feuerwehrfahrzeug beeindruckende Beschleunigungswerte und eine ebenso bemerkenswerte Pumpleistung: Maximal verteilt der Dragon in einer Minute knapp neuneinhalbtausend Liter Wasser und Schaum auf einem brennenden Flugzeug. Bis zu 90 Meter Wurfweite schafft der Pumpenantrieb dank der leistungsstarken IVECO Triebwerke. Die Drachen aus Ulm sind weltweit auf Flughäfen im Einsatz, in diesem Jahr wurde ein größerer Auftrag des spanischen Airportbetreibers AENA finalisiert, der Flughafen in Kuala Lumpur erhielt eine kleine Dragon-Flotte. Auch für die Dragon-Baureihe gilt: Hightech an Bord ist selbstverständlich. Die Fahrzeuge werden immer wieder mit neuen Features aufgewertet, um die Einsatzeffektivität zu steigern und gleichzeitig das Gefährdungspotential für die Mannschaft zu reduzieren.  

Gebraucht gekauft ist voll gewonnen